Premiere:
Donnerstag, 22. September 2016 um 19:30 im Architekturforum Zürich
mit
dem Kukuruz Quartett und Jonas Gygax
Texte von Georges Perec und Peter Stamm
Regie:
Philip Bartels
Komposition:
Marcel Zaes
Sounddesign:
Laura Endres
Ausstattung:
Regula Zuber
Instrumentarium:
Elektrische Zahnbürsten, verstärkte Nagelfeilen, Sinus- und Rechteck-Generatoren, Metronome, Melodicas und verstärkte Stimmen
Weitere Vorstellungen:
Samstag, 24.9., Sonntag, 25.9. und Donnerstag, 29.9. jeweils um 19:30 im Architekturforum Zürich
sowie
Samstag, 1.10. um 19:30 und Sonntag, 2.10. um 17h im Osttor Winterthur
Die vier Pianisten des Zürcher Kukuruz Quartett spielen normalerweise auf vier Klavieren, sei es auf der Konzertbühne wie beispielsweise mit den aufwühlenden Klangflächen des Aussenseiter-Minimal-Pioniers Julius Eastman oder im Theater wie zuletzt in Ruedi Häusermanns Inszenierung von „piano forte” im Zürcher Schauspielhaus, über die Radio Bayern 2 kürzlich berichtete: „Vier wohlpräparierte Klaviere, die von dem Schweizer Klavierquartett Kukuruz ganz virtuos gespielt werden – sie zeigen, was man für unglaublichste unterschiedlichste Töne dem Klavier entlocken kann, indem man es präpariert.”
Für die neuste Musiktheaterproduktion, die im Architekturforum Zürich in einer umgebauten Autogarage Premiere feiern wird, wird das Quartett (Simone Keller, Philip Bartels, Duri Collenberg und Lukas Rickli) allerdings ganz auf seine Klaviere verzichten und sich mit Alltagsgegenständen wie Stricknadeln oder Nagelfeilen begnügen müssen, mit denen die Musiker den elektronischen Klängen eines Synthesizers nacheifern. Nach einer mittlerweile zweijährigen Recherche- und Probezeit klingt dieser sogenannte „humanoide Synthesizer”, der vom Komponisten und Medienkünstler Marcel Zaes in enger Zusammenarbeit mit dem Quartett entwickelt wurde auch mittlerweile ganz beachtlich, ist aber natürlich in sich eine (beabsichtigte) Fehlplanung, da die menschlich-musikalischen Fähigkeiten auch mit intensivster Übung nie mit computergenerierten Klägen identisch sein werden. Genau aus dieser Unmöglichkeit bezieht diese Musiktheater-Produktion mit dem unübersichtlichen Titel „Ich denke oft an die Menge Rindfleisch, die notwendig ist, um aus dem Genfersee eine Fleischbrühe zu machen” ihr szenisches Potential.
Das titelgebende Zitat stammt von Georges Perec, der insbesondere für seine ausführlichen Auflistungen bekannt ist – wie beispielsweise dem „Versuch einer Bestandsaufnahme der flüssigen und festen Nahrungsmittel, die ich im Verlaufe des Jahres neunzehnhundertvierundsiebzig hinuntergeschlungen habe”. Nebst musikalisierten Aufzählungen oder einem Ratgeber „wie Sie ungeachtet der sanitären, psychologischen, klimatischen, ökonomischen oder sonstigen Bedingungen ein Höchstmass an Chancen haben, wenn Sie Ihren Abteilungsleiter um eine Angleichung Ihres Gehalts bitten” wird aber auch die Geschichte des kafkaesken Spaziergangs durch die Stadt Zürich in Peter Stamms Monolog „Die Planung des Plans” erzählt.
Der Regisseur Philip Bartels, der in den letzten Jahren viele experimentelle Projekte im musiktheatralischen Bereich initiiert und inszeniert hat, wird bei dieser Produktion eine ganz besondere Funktion einnehmen: da er selbst Mitglied des Kukuruz Quartett ist, das ja zu viert auf der Bühne stehen wird und nur in dieser Konstellation den humanoiden Synthesizer zum Klingen bringen kann, darf man gespannt sein, welche Lösung er findet, um den „Masterplan” in den Händen zu behalten oder halt doch Teil des Plans zu werden wie der Held in Peter Stamms Monolog.
Anschliessend an die Premiere spielt Konstantin Wullschleger in einem Kurz-Konzert seine virtuosen Synthesizer-Improvisationen, die von ihm sehr streng strukturiert und geplant sind, ausserdem ist an den Wänden des Architekturforums die Foto-Ausstellung „olympic realities” des Zürcher Fotografen Bruno Helbling zu sehen, in der – passend zur gerade „abgespielten” Olympiade in Rio – verlassene Städte nach olympischen Grossanlässen gezeigt werden – dann, wenn der Sportzirkus ausgezogen ist: Orte, die trotz Milliardeninvestitionen nach den Tagen der Euphorie nicht mehr wiederbelebt werden können, Bilderstrecken des Grössenwahns, der Korruption und des Fehlmanagements. Eine gelungene architektonische Planung hingegen ist im Winterthurer Osttor zu bewundern, einer grossen Halle in einer ehemaligen Spenglerei, in der noch so manches charmant-irritierendes historisches Überbleibsel zu sehen ist und die am ersten Oktober-Wochenende zum Schauplatz dieser Musiktheaterproduktion wird.
Wer sich nun aber fragt, wie viel Rindfleisch denn nun notwendig ist, um aus dem Genfersee eine Fleischbrühe zu machen, dem sei bereits jetzt verraten, dass alle auf der Erde lebenden Rinder dafür nicht ausreichen würden – wenn man den Berechnungen des Theaterensembles glauben mag …