Ein musiktheatralisches Experiment: ein szenisches Konzert, das Künstler und Naturwissenschaftler in ihrer jeweiligen Hochspezialisierung einander gegenüberstellt und sich in ihrer Alltagsvergessenheit begegenen lässt.
Konzeption:
Philip Bartels und Simone Keller
Musik:
John Cage (1912-1992): aus: Atlas Eclipticalis (1961/62), Arrangement für Flöte, Klarinette, Viola, Violoncello, Klavier und Schauspieler
Heinz Holliger (∗1939): Contrechant (2008) für Bassklarinette solo
Wendy Wan-Ki Lee (∗1977): Silent Blooms (2013) UA für Flöte, Klarinette, Viola, Violoncello und Klavier
Tom Lehrer (∗1928): Das Periodensystem (1959), Arrangement für Sänger, Flöte, Klarinette, Viola, Violoncello, Theremin und Klavier
György Ligeti (1923-2006) : Hora Lunga (1994) aus der Sonate für Viola solo
Tristan Murail (∗1947) : attracteurs étranges (1992) für Violoncello solo
Katharina Rosenberger (∗1971): strange attractor (2014) UA für Flöte, Klarinette, Viola, Violoncello und Klavier
Georg Kreisler (1922-2011): Lied von der Wirklichkeit (1975), Arrangement für Sänger, Flöte, Klarinette, Viola, Violoncello und Klavier
Edgar Varèse (1883-1965): Density 21.5 (1936) für Flöte solo
Texte:
Festreden: Laudatio zur Goldenen Promotion von Prof. em. Dr. rer. nat. Dietrich Bierlein gehalten von Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult. Fritz Rudolf Fritsch
(München, 2007)
Laudatio zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Manfred Lautenschläger gehalten von Prof. Dr. theol. Manfred Oeming
(Heidelberg, 2008)
Laudatio zur Verleihung des Innovationspreises der Gregor Mendel Stiftung an Andreas Sentker gehalten von Prof. em. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult. Christiane Nüsslein-Volhard
(Berlin, 2011)
György Ligeti (1923-2006) / Gerhard Neuweiler (1935-2008): Motorische Intelligenz – Zwischen Musik und Naturwissenschaft (Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 2007)
Ettore Molinari (1867-1926): Stereochimica o motochimica? (Gazzetta Chimica Italiana, 1893)
Ben Moore (∗1966) : Elefanten im All, Aus dem Englischen von Friedrich Griese und Monika Niehaus (© 2012 by Kein & Aber AG Zürich – Berlin)
Mitwirkende:
Raphael Clamer, Sänger/Sprecher
Anna-Katharina Graf, Flöte
Ernesto Molinari, Klarinette
David Schneebeli, Viola
Imke Frank, Violoncello
Simone Keller, Klavier/Theremin
Philip Bartels, szenische Einrichtung/Arrangements
Sophia Miller, Produktionsleitung
Simone Keller & Philip Bartels, Idee/Konzeption/Technik
Dauer:
90 min. ohne Pause
Premiere:
2. März 2014, Theater am Gleis Winterthur
weitere Vorstellungen im Fotomuseum Winterthur
Presseberichte:
→ Der Landbote, 4.3.2014:
Mit „Elefanten im All” ist ein unterhaltsames szenisches Konzert gelungen, das nicht nur Naturwissenschaft und Musik zueinander in Beziehung setzte, sondern auch geschickt den wissenschaftlichen Ernst ironisierte. (…)
Wenn Kunst auf Wissenschaft trifft, ergibt sich ein vielschichtiger und spannender Abend, der das Verständnis für die jeweils andere Disziplin erhöht. (…)
Die Musikerinnen und Musiker traten zudem als Forscher auf und verlasen echte Laudationes und wissenschaftliche Texte, die in diesem neuen Kontext eine ungewollte Komik entfalteten. Imke Frank mimte die Medizin-Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, die sich 2011 furchtbar darüber aufregte, wie Pflanzenforschung im Bereich der Gentechnik bekämpft werde. Ernesto Molinari las einen höchst komplexen Text des italienischen Chemikers Ettore Molinari von 1893, der die Musik als Modell für die Bewegungen der Kohlenstoffatome gewählt hatte. (…)
Der Schauspieler Raphael Clamer schlüpfte äusserst überzeugend in die ernste Rolle des Wissenschaftlers und las nicht nur die trockenen Laudationes auf den Mathematiker Bierlein und den Mäzen Manfred Lautenschläger, womit er für viel Amüsement auf Seiten des zahlreich erschienenen Publikums sorgte. Als gewitzter Sänger brachte er auch ebensolche Lieder zu Gehör: humoristische, die Wissenschaft aufs Korn nehmende Lieder wie Tom Lehrers „Das Periodensystem” (1959), das sämtliche 118 chemischen Elemente des Periodensystems vertont. (…)
Und als Höhepunkt gab er zuletzt Georg Kreislers tiefsinniges „Lied von der Wirklichkeit” (1975) zum Besten. Dieses brachte den vielschichtigen Abend zu einem gelungenen Abschluss. Darin heisst es: „Doch die Wirklichkeit ist ein Märchen, das die Wissenschaft nicht kapiert.…”
Programmhefttext:
Als Galileo Galilei 1590 bei der Untersuchung des freien Falls eine Kugel eine schiefe Ebene hinabrollen liess, gab es noch keine Uhren, die für die Zeitbestimmung genau genug gewesen wären. Der Wissenschaftler, Sohn des Lautenvirtuosen Vincenzio Galilei, besann sich auf die Musik und spielte zum Rollen der Kugel fortan die Laute, was ihm präzisere Messwerte lieferte als es mit den damals gebräuchlichen Sand- oder Wasseruhren möglich gewesen wäre. Eine wahrhaft geniale Idee: Heute weiss man, dass die Genauigkeit des musikalischen Gehörs bei etwa einer Hundertstelsekunde liegt.
„Oft stellt der Künstler und nicht der Wissenschaftler die interessantesten und bohrendsten Fragen” so resümiert der Zoologe und Fledermausspezialist Gerhard Neuweiler rückblickend seine Gespräche mit dem Komponisten György Ligeti, den er 2000 kennengelernt hatte und mit dem ihn bis zu dessen Tod 2006 eine tiefe Freundschaft verband, die u.a. in der gemeinsamen Publikation „Motorische Intelligenz. Zwischen Musik und Naturwissenschaft” Niederschlag fand.
Unser Abend „Elefanten im All” beleuchtet mit Musik und Text die Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft. Die naturwissenschaftlichen Themen, mit denen sich die Komponistinnen und Komponisten hierbei befassen, stammen aus den Gebieten der Physik, Biologie und Astronomie. Sie reichen vom biologischen Phänomen der Autophagozytose, mit dem sich die chinesische Komponistin Wendy Wan-Ki Lee musikalisch auseinandersetzt bis hin zu Klassikern der Moderne wie John Cages „Atlas Eclipticalis”, das auf der Grundlage von Sternenkarten entstanden ist und „Density 21.5” von Edgar Varèse, das für die erste Platinflöte geschrieben wurde und Bezug nimmt auf die Dichte dieses sehr schweren Edelmetalls.
Ergänzt werden die solistischen und kammermusikalischen Stücke durch Texte von Ben Moore und Gerhard Neuweiler. Diese Wissenschaftler haben sich in den letzten Jahren mit ihren Bemühungen, auch komplexe naturwissenschaftliche Zusammenhänge einem Nicht-Fachpublikum zugänglich zu machen, hervorgetan und sind mit Büchern wie „Elefanten im All” auf breites Interesse gestossen.
Festreden und Preisverleihungen sind Elemente, die sowohl im Musik- als auch im Wissenschaftsbetrieb anzutreffen sind und auch bezüglich der Spezialisierung in einer bestimmten Disziplin bzw. deren Vertiefung bis hin zur Alltagsvergessenheit sind sich Neue Musik und Wissenschaft nicht unähnlich.
In der Antike gehörte zu den septem artes liberales, den sieben freien Künsten, neben Astronomie, Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Geometrie, Arithmetik, auch die Musik. Von den „Schönen Künsten” im modernen Sinn war also in der Antike allein die Musik eine anerkannte Kunst.